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„Versuchskaninchen, Zwangsmaßnahme und das Cochlea-Implantat ist Scheiße“. So heißt die provokative Überschrift vom Video von Jonas Straumann, der sich für die Akzeptanz vom Cochlea-Implantat unter den tauben Menschen stark macht und eine Aktion ins Leben gerufen hat: #GegenCIHass.

Straumann beobachtet in den vergangen Jahren einen „CI-Hass“ und wünscht sich einen respektvolleren Umgang mit dem Cochlea-Implantat. „Die Zeit, wo diese Hassliebe ausgelebt wird, könnte viel sinnvoller für positive Schlagzeilen über die Gebärdensprache genutzt werden. Respekt, Toleranz und eine starke, große Gemeinschaft ist wichtig für die Verbreitung der Gebärdensprache“, so Straumann. In seinem Meinungsvideo möchte Jonas Straumann nochmals verdeutlichen, warum es wichtig ist, mit dem Thema anders umzugehen. Warum macht er das? Taubenschlag möchte mehr darüber erfahren und hat ein Interview mit ihm gemacht:

Taubenschlag: Wie bist du auf diese Aktion gekommen?

Jonas Straumann: Vor vier Jahren startete ich meine Firma „hearZONE“, darauffolgend auch das Webportal. Als ich die erste Pressemitteilung zum Cochlea Implantat veröffentlichte, kamen unzählige Hasskommentare gegen das Cochlea Implantat, was mich als erstes schockierte. Während den letzten vier Jahren beobachte ich immer wieder, wie CI-TrägerInnen durch falsche Aussagen und Gerüchte diffamiert werden. Kürzlich war das wieder der Fall, in dem CI-Hate im Netz gut zu beobachten ist. Einige Betroffene meldeten sich hin und wieder bei mir persönlich, dass es unverständlich ist, wie mit dem Thema umgegangen wird. Irgendwann kommt auch der Knackpunkt bei mir, als offener Mensch, wo man da entgegentreten muss.

Cochlea-Implantat wird als Mittel zur Beseitigung einer Hörschädigung verstanden. Hast du Verständnis für taube Menschen, die keine Beseitigung der Hörschädigung wollen?

„Ich habe vollstes Verständnis dafür, dass es taube Menschen gibt, die für sich persönlich kein Cochlea Implantat wünschen. Ich habe aber auch Verständnis für jene, die ein Cochlea Implantat wollen.“

Dass das Cochlea Implantat als Allheilmittel oder Beseitung einer Hörbehinderung aufgespielt wird, finde ich falsch. Menschen mit Cochlea Implantat leben immer noch eingeschränkt. Einige weniger, andere mehr. Ich habe vollstes Verständnis dafür, dass es taube Menschen gibt, die für sich persönlich kein Cochlea Implantat wünschen. Ich habe aber auch Verständnis für jene, die ein Cochlea Implantat wollen. Es geht bei der Thematik eigentlich nicht darum, ob man eins möchte oder nicht, sondern um die Angst, dass die Gebärdensprache durch das Cochlea Implantat bedroht ist und die Gebärdensprachgemeinschaft dezimiert würde.

Ich habe zum Beispiel auch kein Cochlea Implantat. Aber das liegt nicht daran, dass ich gegen das CI bin oder das CI mich anekeln sollte, sondern, weil ich nicht das Bedürfnis danach habe, besser hören zu müssen. Ich bin mit meiner Lage zufrieden und habe meinen Weg gefunden, wie ich mich zurechtfinden kann. Jeder muss seinen eigenen Weg finden und es wäre falsch, wenn wir Entscheidungen anderer Menschen und ihre Lebensweisen kritisieren müssen.

Du meinst, auch in deinem Video, dass das CI die Gehörlosenkultur nicht kleiner macht. Kannst du das näher erläutern? Gibt es Beispiele oder Belege für diese Behauptung?

Das Cochlea Implantat ist nicht allein verantwortlich, wie oft gerne dargestellt wird. Früher war die Technologie noch nicht so fortschrittlich wie heute. Früher wäre ein von mittel- bis Taubheit grenzender Mensch genauso taub gewesen, wie ein vollständig tauber Mensch und bewegte sich eher in der Gebärdensprachgemeinschaft. Durch das Aufkommen der Hörgeräten sind natürlich viele dieser schwerhörigen Menschen heute nun in der hörenden Welt. Dass das Cochlea Implantat allein dafür verantwortlich sei, dass die Gehörlosenkultur kleiner geworden ist, ist schlichtweg falsch.

„Dass das Cochlea Implantat allein dafür verantwortlich sei, dass die Gehörlosenkultur kleiner geworden ist, ist schlichtweg falsch.“

Zudem ist sehr gut zu beobachten, dass viele CI-TrägerInnen auch gebärdensprachkompetent sind und sich in der Gebärdensprachgemeinschaft bewegen. Sie haben auch taube Freunde. Genauso ist es auch mit vielen Hörgeräteträgern und bilingualen Hörbehinderten. Was uns kleiner macht, ist unser Verhalten, wenn wir mit Diffamierungen andere Menschen, andere Hörbehinderten, von unserer Gemeinschaft abschrecken. Wenn wir Mauern aufbauen müssen, klassifizieren müssen – und besonders ständig auf den Hör- und Sprachstatus zurückgreifen müssen, kommen wir nicht vorwärts. Je mehr differenziert wird, desto kleiner sind auch die Gemeinschaften.

In Dänemark haben alle Kinder mit Hörbehinderung das CI, nehmen an Regelschulen teil und erlernen die Gebärdensprache auch nicht. Das wirkt sich deiner Meinung überhaupt nicht auf die Existenz der Gebärdensprache aus?

Das ist in Dänemark so und das entscheiden die Menschen in Dänemark selbst. Auch sind die Systeme ganz anders aufgebaut, als hier in Deutschland. Da spielen immer ganz verschiedene Faktoren eine große Rolle. Und es kommt auch immer darauf an, was wir für die Existenz der Gebärdensprache tun. Mit Diffamierungen bewirken wir genau das Gegenteil davon.

Was können die tauben und schwerhörigen Menschen gemeinsam für den Erhalt der Gebärdensprache tun?

Das ist eine sehr gute Frage! Als erstes müssen diese Streitigkeiten über das Cochlea Implantat im Internet gebremst werden. Es bringt uns alle nicht weiter, wenn wir jahrelang über dieselben Probleme und Schwerpunkte uns mit Schneebällen bewerfen.

„Es bringt uns alle nicht weiter, wenn wir jahrelang über dieselben Probleme und Schwerpunkte uns mit Schneebällen bewerfen.“

Wichtig ist, dass wir einen Dialog mit den Verantwortlichen in der Erstberatung hörender Eltern mit hörbehinderten Kindern herstellen können und die Gebärdensprache mit einbezogen wird. Dass die technologischen Fortschritte viele Veränderungen herbeirufen, ist unvermeidbar. Ein bilinguales Konzept ist hier sehr wichtig, aber nicht nur für den Erhalt der Gebärdensprache. Ob jetzt jemand nur mit Gebärdensprache aufwächst, oder nur mit dem Cochlea Implantat und Lautsprache, gewährleistet nicht, dass einen guten Bildungsstand erreicht werden kann. Jeder Mensch reagiert unterschiedlich auf die Inputs, die man bekommt. Gerade da ist es wichtig, dass alle vorhandenen Ressourcen genutzt werden um Risiken zu mindern. In meiner Tätigkeit habe ich sehr viel mit hörbehinderten Menschen zu tun. Ich beobachtete auch CI-TrägerInnen, die mit der Lautsprache Schwierigkeiten haben und mit der Gebärdensprache nicht. Auch beobachte ich aber, dass es taube Menschen mit und ohne Hörhilfen gibt, die lieber Lautsprache bevorzugen. Es ist ein Mix, den wir nicht differenzieren und pauschalisieren können. Das Risiko ist wesentlich geringer, wenn alle Möglichkeiten genutzt werden. Dieses Konzept ist nicht neu.

Viele taube argumentieren unter anderem auch, dass es nicht in Ordnung ist, taube Babys zu implantierten. Unter anderem wird auch behauptet, die Ärzte würden das aufzwingen. Hier gilt klarzustellen, dass die Ärzte niemanden zwingen. Die Entscheidung liegt immer bei den Eltern oder bei der volljährigen Person selber. Wenn sich die Eltern für das Cochlea Implantat entscheiden, müssen wir das respektieren. Eine Schuldzuweisung an die Ärzte oder Eltern ist hier falsch. Vielmehr müssen wir dafür sorgen, dass Gebärdensprache in der Erstberatung mit einbezogen wird, mit einem konstruktiven Dialog oder indem wir Flyers an den Stellen auslegen. Es ist die Aufgabe der Verbände, diesen konstruktiven Dialog mit den Verantwortlichen zu führen. Leider sind solche Fortschritte der Verbände kaum wahrzunehmen.

„Ich bin kein Gegner der Gebärdensprache. Aber auch kein Gegner des Cochlea Implantats.“

Um auch festzuhalten: ich bin kein Gegner der Gebärdensprache. Aber auch kein Gegner des Cochlea Implantats. Es gibt Wege, die für uns alle von Vorteil sind. Um diese Wege beschreiten zu können, muss auch das nötige Verständnis dafür aufgebracht werden. Weil das für viele taube Menschen noch schwerfällt, habe ich die Aktion #GegenCIHass gestartet. Bei der Aktion geht es nicht darum, das CI zu unterstützen oder zu befürworten und die Gebärdensprache abzuwerten, sondern aufzuzeigen, dass wir mit dem Thema anders umgehen müssen. Schliesslich sagen CI-Träger nicht zu Tauben: «Guckt mal, die benutzen Affensprache», während andere Tauben immer wieder freche Kommentare hinterlassen wie z.B.: «CI ist wie Robotermensch oder Frankenstein» und mit solchen Aussagen implantierte Menschen beleidigen, obwohl es eigentlich nicht um die Träger selbst geht, sondern allein um das Cochlea Implantat. Auch werden immer wieder falsche Gerüchte über das Cochlea Implantat in die Welt gesetzt, anstatt die Betroffenen selbst zu fragen. Das ist Diffamierung und spaltet uns nur noch mehr. Mit der Aktion rufe ich alle Betroffenen, die sich darüber ärgern auf, die Aktion zu unterstützen, um zu zeigen, dass auch die CI-TrägerInnen da sind und sich für uns interessieren.

„Wir müssen uns gegenseitig respektieren, tolerant sein und offen miteinander umgehen.“

Wir müssen uns gegenseitig respektieren, tolerant sein und offen miteinander umgehen. Nur gemeinsam lässt sich eine gute Lösung finden. Das bilinguale Konzept ist bereits ein guter Anhaltspunkt.

In deinem Video kritisiert du die tauben Menschen, kein konstruktives Gespräch gesucht zu haben. Waren die Positionen von Gehörlosenverbänden zum Cochlea-Implantat für dich nicht konstruktiv genug?

Ich erinnere mich an einen Vorfall, eines guten Freundes von mir, der sich implantieren liess. Er ist seit vielen Jahren Mitglieds eines Gehörlosenvereins/Verbandes und unterstützt diesen tatkräftig, bis eines Tages der Verantwortliche für die Facebook-Fanseite ein Bild geteilt hat, auf dieser Michelle Obama mit einem Stück Papier posiert. Auf dem Papier ist ein Verbotszeichen mit einem Cochlea Implantat. Die Reaktion meines Freundes? Die Mitgliedschaft unmittelbar kündigen.

Solche Vorfälle sind nicht neu und treten in unterschiedlichen Variationen auf, wie CI-TrägerInnen, die in der Gebärdensprachgemeinschaft unterwegs sind, sich auch engagieren, immer wieder auf eine solche Art und Weise beleidigt werden müssen. Teilweise werden CI-TrägerInnen auch gar nicht als Teil der Gehörlosenkultur angenommen, wie mir oft immer wieder berichtet wird. Teilweise wird sogar auch darüber gehätschelt und über die Person. Solange solche Verhaltensweisen – auch in den Verbänden unabhängig von der Position des Verbandes – zu beobachten ist, ist hier nichts konstruktiv genug, denn mit solchen Aktionen tragen sie zur Dezimierung der Gemeinschaft bei.

Gerlinde Gerkens (Foto: Herbert Christ)

Deutscher Gehörlosen-Bund hat im Jahr 2006 folgendes gefordert: Beratung, Frühförderung und Nachsorge müssen immer methodenoffen sein. War das nicht konstruktiv genug? Gerlinde Gerkens, die ehemalige Präsidentin vom Deutschen Gehörlosen-Bund, schrieb in ihrer Stellungnahme von 2006, dass „der Verband die weitere Entwicklung auf diesem Gebiet kritisch verfolgen wird und aber zur Kooperation mit allen Beteiligten bereit ist“. Was hätte eine Präsidentin oder ein Präsident vom Deutschen Gehörlosen-Bund es besser machen sollen?

Im Jahr 2006 war in noch in der Schule für Hörbehinderte in der Schweiz. Leider konnte ich diese Entwicklungen nicht in Echtzeit beobachten, was ich sehr gerne getan hätte. Die Forderung ist aber auch nicht neu, das ist mir durchaus bewusst. Da ich diese Geschehnisse nicht selber beobachten konnte, möchte ich darüber auch kein Urteil bilden. Aber warum ging das Thema eigentlich unter, obwohl es sehr wichtig ist?

„Es scheint mir so, dass der Deutsche Gehörlosen-Bund ihren Fokus vermehrt auf das Bundesteilhabegesetz setzt anstatt auf die anderen Bereiche, die auch wichtig wären.“

Es scheint mir so, dass der Deutsche Gehörlosen-Bund ihren Fokus vermehrt auf das Bundesteilhabegesetz setzt anstatt auf die anderen Bereiche, die auch wichtig wären. Zudem kann ich die Aussage „zur Kooperation mit allen Beteiligten bereit ist“ vom DGB gar nicht unterstreichen. In meiner Tätigkeit mit hearZONE, welche sich aus gemischten Hörbehinderten zusammensetzt, war immer wieder eine Ablehnungshaltung vom DGB und darüber hinaus vom DGJ zu vernehmen – oft auch ohne irgendwelche plausiblen Gründe. Das liegt an den Personen, die in den Verbänden sind. Ein „Gemeinsam“ scheint an dieser Stelle fremd zu sein.

Wie siehst du in die Zukunft? Optimistisch oder eher nicht?

„Wenn wir uns streiten, schaden wir uns nur selber.“

Ich komme noch aus einer Zeit, wo ich ein sogenanntes Bananenhandy, ein Nokia, hatte. Wer hätte gedacht, dass es irgenwann mal Touchscreens gäbe, Flachbildschirme und Vernetzung auf der ganzen Welt? Was uns in der Zukunft noch erwartet, ist ungewiss. Ich bin mir aber sicher, dass die technologischen Fortschritte der Hörgeräte und Cochlea Implantate nicht aufzuhalten sind. Auch die Gesellschaft verändert sich mit der Zeit, hat andere Interessen und Perspektiven. Damit müssen wir umgehen können. So ist es auch mit dem Cochlea Implantat. Wenn wir uns streiten, schaden wir uns nur selber. Ich aber sehe die Zukunft immer optimistisch. Wir müssen nur offen für Veränderungen sein, um gemeinsam vorwärts zu kommen ?.

Vielen Dank für das Gespräch!

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BildquelleAnika Heinrich / hearZONE