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Jonas Straumann gründete 2013 hearZONE, eine Zeitschrift für Menschen mit Hörbehinderung, während seiner Ausbildung zum Kaufmann. Nach vier Jahren im Sommer 2017 beendete er die Produktion seiner Zeitschrift und übergab seine Firma an den Schweizerischen Hörbehindertenverband Sonos, wo er seit Oktober 2017 im Bereich Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising arbeitet. Mit Taubenschlag sprach der 24-Jährige über seine Arbeit für Sonos und den Unterschied zwischen Deutschland und der Schweiz.

Taubenschlag: Du bist September 2017 zurück nach Schweiz gezogen. Kannst du uns erzählen, warum und was du jetzt machst?

Jonas Straumann: Im Jahr 2017 ist viel passiert und ich durfte viele Erfahrungen und Erkenntnisse aus meiner 10-wöchigen Deutschlandreise mitnehmen. Im Sommer 2017 veränderte sich meine Perspektive und ich stellte die Produktion der damaligen im September 2013 gegründeten Zeitschrift «hearZONE» ein. Daraufhin ging ich in die Schweiz zurück und wurde beim Schweizerischen Hörbehindertenverband Sonos im Oktober 2017 angestellt. Dort konzipierte ich mit der Geschäftsstelle ein Konzept für ein Rebranding. Ende 2017 wurde das Netzwerk von «hearZONE» übernommen und Anfang 2018 das Rebranding durchgeführt. Seither arbeite ich im Bereich Medien und Kommunikation beim Schweizerischen Hörbehindertenverband Sonos.

Der Grund warum ich die Zeitschrift gegründet habe, weichte später stark vom Grund ab, warum ich sie weiterführte. Ich habe neue Ziele gesteckt, neue Baustellen erkannt und neue Ideen gefunden. Die Zeitschrift kommunizierte die verschiedenen Baustellen, konnte sie aber nicht lösen, weil das nicht in der Verantwortung einer Zeitschrift liegt. Über das Verbandswesen gibt es mehr Möglichkeiten, Baustellen in der Gesellschaft anzupacken. Ich will etwas verändern. Die Welt verbessern. Das konnte ich mit der Zeitschrift nicht.

Heute kann ich Projekte anpacken, die mir nicht nur Spaß machen, sondern auch einiges verändern und bewegen. Das gefällt mir sehr gut!

Für viele Menschen mit Hörbehinderung in Deutschland ist Sonos noch nicht bekannt. Wofür steht dieser Verband? Ist er mit Deutscher Gesellschaft der Hörbehinderten als Dachverband verschiedener Verbände vergleichbar?

Der Schweizerische Hörbehindertenverband Sonos wurde 1911 als Schweizerischer Fürsorgeverein für Taubstumme durch Eugen Sutermeister gegründet und wurde gleichzeitig Träger der von 1907 gegründeten «Schweizerischen Taubstummenzeitung», die später in die «Schweizerische Gehörlosenzeitung» umbenannt wurde und heute unter dem Titel «Zeitung vom Schweizerischen Hörbehindertenverband Sonos» im 113. Jahrgang fortgeführt wird. In der Schweiz ist Sonos seit über 100 Jahren der Dachverband für Organisationen im Hörbehindertenwesen und seit 1954 auch Träger der Berufsfachschule für Lernende mit Hör- und Kommunikationsbehinderung (BSFH) in Zürich-Oerlikon, wo ich selber auch zur Berufsschule ging während meiner Ausbildung zum Kaufmann. In der Schweiz gibt es aber drei wichtige Organisationen, die sich für die Bedürfnisse von Menschen mit einer Hörbehinderung engagieren. Der Schweizerische Hörbehindertenverband Sonos, pro audito und der Gehörlosenbund.

Wie nimmst du Deutschland heute wahr und die Schweiz nach deiner Rückkehr?

Die Schweiz ist mein Heimatland. Ich habe ungefähr drei Jahre in Deutschland gelebt und vieles in Deutschland mitnehmen dürfen. Positive aber auch negative Erfahrungen. Oft hatte ich den Eindruck, dass vieles in Deutschland kontraproduktiv verläuft und stehe noch heute zu dieser Meinung. Auch machte es sich bemerkbar, dass die strategischen Handlungsfelder und Lösungsansätze in Deutschland sich von diesen der Schweiz oft stark unterscheiden. Ich sehe aber die großen Baustellen in Deutschland in der inneren Kommunikation. Es findet sehr viel gegeneinander statt miteinander statt. Hitzige CI-Diskussionen und Streitigkeiten im Netz sind ein sehr gutes Beispiel dafür. In Deutschland toben die sozialen Medien. In der Schweiz eher weniger. In der Schweiz finden sehr viele Dialoge im Hintergrund statt und werden nicht öffentlich ausgetragen. Aber auch die Schweiz hat seine Probleme mit der inneren Kommunikation.

Ich sehe manchmal die Gefahr, dass Streitigkeiten in sozialen Medien Außenstehende abschrecken können und das Image der Gehörlosen verschlechtert. Auch, dass öffentliche Streitigkeiten, die manchmal nicht mehr sachlich und respektvoll verlaufen, dazu führen, dass viele engagierte Persönlichkeiten von ihren Ehrenämtern zurücktreten, um sich selbst davor zu schützen, eine Zielscheibe zu werden. Ich kenne gehörlose Freunde aus Deutschland, bei denen trifft das zu. Das finde ich sehr schade.

Deutschland hat aber auch seine guten Seiten. Die Schweiz ist in meinen Augen noch ein Entwicklungsland und hat noch sehr viel Nachholbedarf in ganz spezifischen Bereichen. Und da trete ich nun ein und versuche für diese Baustellen eine Lösung zu finden.

Du arbeitest zurzeit auch an einem Lernprogramm für Gebärdensprache. Wie umfangreich ist es und wann wird es veröffentlicht?

Das Lernprogramm für die Deutschschweizerische Gebärdensprache (DSGS) entstand aus vielen Gesprächen, die ich mit Familien mit gehörlosen Kindern in der Schweiz geführt habe. Ich hatte nie das Privileg, mit der Gebärdensprache aufzuwachsen. Dieses fehlende Privileg führte zur Konsequenz, dass ich einer Identitätskrise ausgesetzt war und eine mangelnde Akzeptanz bei Gehörlosen erfahren musste. Ich fühle mich nicht bei hörenden Zuhause, aber irgendwie auch nicht bei den Gehörlosen. Ich bin irgendwo dazwischen. Hätte ich das Privileg, mit der Gebärdensprache aufzuwachsen, läge mir ein Zuhause vor den Füßen.

Diesem Risiko sind immer noch sehr viele gehörlose und hörbehinderte Kinder ausgesetzt. Auf dem Markt gibt es sehr wenig didaktisch gut aufgebaute Ressourcen um die Gebärdensprache in den Familienalltag zu integrieren. Familien haben oft wenig Zeit, müssen arbeiten und haben noch andere Verpflichtungen. Die intensiven Gespräche zeigten mir auf, dass wir dringend ein didaktisch aufgebautes Lernprogramm brauchen, womit die Familien zeit- und ortsunabhängig arbeiten können und mit Übungen speziell für Kleinkinder ihre Kinder in den Lernprozess involvieren können.

So entstand das Lernprogramm für die Deutschschweizerische Gebärdensprache, welches seit Sommer 2017 vom Schweizerischen Hörbehindertenverband Sonos unter meiner Projektleitung aufgebaut wird. Ich habe das Lernprogramm selber entwickelt und die Bedürfnisse der Familien mit einfließen lassen. Insgesamt sind über 2000 Wörter und 900 Sätze mit Glossen in über 50 verschiedenen Modulen geplant. Insgesamt verfügt das Lernprogramm über 16 verschiedene Übungstechniken und ist didaktisch sinnvoll aufgebaut. Aktuell befindet sich das Lernprogramm in der Testphase mit über 30 Familien mit hörbehinderten Kindern. Das Lernprogramm wird dann kostenlos angeboten. Der Zugang zur Gebärdensprache soll und darf nicht an der finanziellen Situation der Familie scheitern.

Selbst mitzuerleben, wie gehörlose Kleinkinder mit dem Lernprogramm fleißig neue Gebärden gelernt haben, rührte mich zu Tränen. Es zeigt mir, dass mein Projektteam sich einer wichtigen und wertvollen Verantwortung widmet. Mit unserem Tun ermöglichen den Familien einen besseren Zugang zur Deutschschweizerischen Gebärdensprache.

Alle Neuigkeiten zum Lernprogramm gibt es unter www.hoerbehindert.ch/gslms.

Das ist schon toll! Ich bin gespannt! Vielen Dank für das Gespräch!

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BildquelleJonas Straumann

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