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Jonas Straumann hat hearZONE gegründet und geführt. Später verkauft er seine Plattform an den Schweizerischen Hörbehindertenverband Sonos. Er arbeitete auch für den Verband. Doch ließ er so ziemlich alles aus dem alten Leben hinter sich und brach zu einer Weltreise auf – mit Handpan. Taubenschlag hat mit ihm ein Gespräch über seine alte und neue Musikleidenschaft geführt.

Taubenschlag: Seit wenigen Jahren machst du Musik und konzentrierst dich inzwischen voll darauf. Wie kommt es dazu?

Jonas Straumann: Dass ich mich mit der Musik tief verbunden fühle, ist nicht neu. Schon als Kind hatte ich eine große Faszination für Musik. In der Pubertät wurde ich gefragt: „Was willst du im Leben mal beruflich machen?“. Für mich war die Antwort klar: auf der Bühne stehen, Menschen inspirieren und künstlerisch tätig sein. Doch die Reaktionen darauf waren „Das kannst du nicht“, „Damit kann man kein Geld verdienen“ oder „Du bist gehörlos. Du wirst mit Musik nicht viel erreichen“. Als Teenager glaubt man natürlich seinem Umfeld. So gab ich Musik auf und gründete hearZONE.

Mit dem Magazin hearZONE konnte ich sehr viel für mein Leben dazulernen. Glücklich war ich damit nicht so wirklich und so übergab ich das Netzwerk an Sonos. Zwei weitere Jahre arbeitete ich beim Schweizerischen Hörbehindertenverband im Bereich Medien und Kommunikation weiter. Ende 2018, wo ich einen innerlichen Tiefpunkt in meinem Leben erreichte, kaufte ich ein Hang für 7000 Franken (ca. 6.470 Euro). Danach änderte sich alles für mich.

Für mich wurde klar. Das Leben, was ich gerade lebte, war nicht das Leben, was ich wirklich will. Mein Umfeld tat sich schwer mit meiner Veränderung. Negative Wertungen und Reaktionen zu meinen Träumen und Zielen aus näherem Umfeld zeigten sich. So gab ich mein altes Leben komplett auf, ließ alles hinter mir und nahm ein Jahr Auszeit. Eine Art Pause um zu mir selbst zu finden.

Das Handpan ist ein Musikinstrument. Es besteht aus zwei miteinander verklebten Halbkugelsegmenten aus Stahlblech. Wie bist du auf dieses Instrument gekommen?

Das Handpan ist ein Instrument das vor rund 20 Jahren in der Schweiz erfunden wurde. Jede Handpan hat unterschiedliche Tonfelder, die einer Tonleiter entsprechen. Angespielt wird das Tonfeld mit einem Finger, nicht mit der ganzen Hand. Das Instrument ist keine Trommel, auch wenn es manchmal diesen Eindruck erweckt. Jede Handpan ist einzigartig und ein Unikat. Das macht das Instrument auch so besonders. Meine Lieblings- und Haupt-Handpan in D-Moll habe ich von Soma Sound Sculptures aus der Schweiz.

Wie bist du auf dieses Instrument gekommen?

Das Instrument kenne ich seit 2013, als der weltweite Hype darum losging. Kurz bevor ich mit Musik aufhörte und hearZONE begann, wünschte ich mir eine Handpan. Allerdings gab es damals nur einen Hersteller und an ein solches Instrument zu kommen war ziemlich schwer. Einige hatten einfach Glück und andere kamen mit sehr viel Geld an das Instrument. Bei mir scheiterte es an beidem. Stattdessen begann ich auf meinen Zugfahrten auf meinem Knie mit meinen Fingern zu spielen und stellte mir vor, es wäre eine Handpan.

Erst Jahre später, Ende November 2018, kam der Wunsch wieder hoch – und dann war auch das Geld da. Für mein erstes Hang aus zweiter Hand bezahlte ich 7000 Schweizer Franken. Der Kauf veränderte mein Leben über Nacht.

Du warst auf der Reise und musst beim Beginn der Coronapandemie sie abbrechen. Der wichtigste Teil deiner Reise war Musikspielen? Wie reagieren Menschen auf dich? Besonders wenn sie erfahren, dass du hörbehindert bist?

Als ich wieder mit musizieren begann, reagierte mein Umfeld sehr unterschiedlich darauf. Mehrheitlich mit einem negativen Touch. Es kam der Punkt, da wollte ich meinem alten Leben nur noch entfliehen. Und das tat ich auch. Ich beendete meine Beziehung, kündigte die Wohnung, verließ meinen alten Job, hörte auf zu rauchen und ließ so ziemlich alles aus dem alten Leben hinter mir. Ich brach zu einer Weltreise auf – genauer gesagt; auf die Suche nach mir selbst.

Jonas Straumann in Belgrad (Foto: Zoran Randlejovic)

Ich bereiste knapp sechs Monate den Balkan. Mit Rucksack und Handpan begab ich mich auf die Suche nach Antworten. In Mazedonien blieb ich zwei Monate und spielte dort in der Stadt Bitola fast jeden zweiten Tag. Die Menschen waren sehr begeistert. Ihre Dankbarkeit zeigten sie mit großzügigen Gefälligkeiten. Die Begeisterung steigert sich erheblich, sobald sie erfahren, dass ich taub bin. Ich bin links 100 % und rechts ca. 90 % taub. Selbst die Ärzte versetze ich in Erstaunen. Dass ich überhaupt mit dem wenigen Hörvermögen so gut kommunizieren kann, ist schon sehr beeindruckend.

Die Coronapandemie kam eigentlich sehr gelegen. Als ich zwei Tage alleine auf Santorini war, bevor die weltweite Panik begann, spürte ich, meine Antworten langsam gefunden zu haben. Der Wunsch wieder proaktiv zu werden und Verantwortung für mein Leben zu übernehmen, verstärkte sich. Für mich war klar; komme ich heim, beginne ich neu – und diesmal mit den Träumen und Zielen, die ich in mir trage. Musik zum Beispiel.

Was hast du jetzt konkret vor, wenn du darüber erzählen kannst?

Als Kind faszinierte mich die Bühne immer sehr. Der Traum ein Musiker und auf der Bühne zu sein, wurde von meinem Umfeld nur negativ gewertet. Ich wurde für meine Träume belächelt – das auch schon sehr früh in der Schule mit schlimmen Erfahrungen von Mobbing. Von Lehrern und Fachpersonen hieß es: „Das kannst du nicht“. Ich sollte mich anpassen. Das klappte allerdings nie so, wie sie es von mir erwartet haben.

Ich ging einen anderen Weg, mit hearZONE, einem Magazin für Gehörlose und Hörbehinderte. Aus dem Nichts baute ich eine Firma auf und verkaufte sie nach vier Jahren. In der Selbstständigkeit durfte ich sehr viel Know-how aneignen und bin als Persönlichkeit sehr stark gewachsen.

Wenn ich eine Firma aufbauen und verkaufen kann, so kann ich sicher auch meine Träume verwirklichen. Und darauf konzentriere ich mich jetzt. Besonders wichtig ist es mir, dass ich mein Leben nach meinen Träumen und Wünschen gestalten darf. Persönliches Wachstum ist für mich besonders wichtig. Ich möchte vor allem das im Leben tun, was mir Spaß und Freude bereitet.

Mit meiner Geschichte inspiriere ich auch andere Menschen. Ich breche mit meiner Hörbehinderung und Musik Grenzen auf. Nichts ist unmöglich. Die Grenzen beginnen in unserem eigenen Kopf. Wer sie aufbricht, dem öffnet sich eine neue Welt.

Du machst Musik und weißt, wie deine Musik von hörenden Menschen wahrgenommen wird und wie gut du bist?

Auf diese Frage gibt es keine pauschale Antwort. Ich kenne den Unterschied zwischen Hörend und Gehörlos nicht. Ich selbst war nie hörend und wurde mit meiner Hörbehinderung geboren. Daher kann ich nur über meine eigene Wahrnehmung erzählen, aber nicht etwa über die der Hörenden.

Meine Wahrnehmung zur Musik ist eindeutig anders als die der Hörenden. Anders betrachtet klingt Musik für mich nach kaputten Geräuschen ohne genießbare Harmonie. Warum ich doch in den Genuss von Musik komme, ist viel komplexer und würde den Rahmen des Interviews sprengen. Spaß, Freude und Talent sind erst einmal wichtige Grundvoraussetzungen. Dazu kommt dann das Mindset und die innere Einstellung.

Natürlich frage ich mich ab und an, wie meine Musik für Hörende wirkt. Manchmal mache ich mich sogar selbst mit der Frage total verrückt. Im Grunde höre ich ja die Schönheit meines eigenen Instruments nicht und wie der Klang in der hörenden Realität ist.

Jonas Straumann in Belgrad (Foto: Zoran Randlejovic)

Manche meinen, ich spüre das Instrument und den Sound. Andere rechtfertigen das damit, dass ich nur leicht schwerhörig bin, was aber nicht stimmt. Ich bin fest davon überzeugt, dass es viel tiefer geht, als eine Erklärung, die diese Kontroversen zwischen Gehörlosigkeit und Musik logisch erläutern soll. Ich fühle mich im Herzen mit der Musik verbunden. Das ist ein großes Geschenk für mich.

Du machst seit langer Zeit vieles für Menschen mit Hörbehinderung – besonders im Bereich Medien. Machst du das jetzt nicht mehr?

Ungefähr 6 Jahre habe ich mich stark für Menschen mit einer Hörbehinderung engagiert. Erst vier Jahre mit der eigenen Firma hearZONE, später dann zwei Jahre beim Schweizerischen Hörbehindertenverband Sonos. Viele Steine konnte ich durch mein Engagement ins Rollen bringen. Meine letzte Arbeit für das Gehörlosenwesen war die Initiierung des Lernprogramms für die Deutschschweizerische Gebärdensprache beim Schweizerischen Hörbehindertenverband. Dank dem Lernprogramm können Kleinkinder mit ihren Eltern frühzeitig die Gebärdensprache erlernen. Damit habe ich einen wichtigen und großen Beitrag an das Gehörlosenwesen in der Schweiz geleistet.

Die Zeit im Hörbehindertenwesen machte mir viel Spaß und gehört auch zu einer der wichtigsten Lehren in meinem Leben. Aber auch hier gibt es eine Schattenseite. Meistens habe ich mich für andere Menschen aufgeopfert und wenig für mich selbst gesorgt. Dabei habe ich auch meine eigenen Träume hinten angestellt. Das ist heute anders. Ich konzentriere mich darauf, meine Träume zu verwirklichen.

Das soll nicht bedeuten, dass mein Engagement im Hörbehindertenwesen für immer vorbei ist. Findet sich wieder eine gute Idee zu einem wichtigen Problem, das gelöst werden muss, bin ich bestimmt nicht weit entfernt (lacht). Mein breites und fachliches Know-how biete ich nun als Dienstleistung mit STARTIDEE an.

Vielen Dank für das Gespräch, lieber Jonas.

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BildquelleJonas Straumann

1 Kommentar

  1. Weiter so, lieber Jonas.
    Ich fand und finde deine Lebenseinstellung mutig . Du zeigt, dass Hörbehinderte auch ihren Weg gehen können!
    Liebe Grüße
    Norbert aus Viersen, NRW Deutschland

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