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Herausgegeben von Gerald Braunberger, Jürgen Kaube, Carsten Knop, Berthold Kohler
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Lärm am Arbeitsplatz: Die Herren der Rockband „Rammstein“ sollten auf der Konzertbühne eigentlich Gehörschutz tragen. Bild: interTOPICS
Zerstörte Hörzellen im Innenohr galten bisher als wichtigste Ursache der Schwerhörigkeit. Inzwischen spricht vieles dafür, dass der Mensch noch viel empfindlicher auf Lärm reagiert.
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Neunzig Dezibel, der Lärmpegel eines Lastwagens, und die Künstler stehen noch nicht einmal auf der Bühne. Ein paar Konzertbesucher wippen stumm im Rhythmus der dröhnenden Klänge. Sich zu unterhalten ist bei so einem Lärm schwierig, wenn man dem Nachbarn nicht gleich ins Ohr brüllen will. Ein paar Minuten später trompeten an diesem Abend links mit Presslufthammerlautstärke, 120 Dezibel, die Bläser los, rechts hämmert der Bass auf die Zuschauer ein. Dass die kommenden zwei Stunden Tanzen und Singen inmitten dieses Infernos ohne Ohrstöpsel nicht immer folgenlos bleiben, wird der eine oder andere Musikfan am nächsten Morgen feststellen. Lärmtrauma nennt der Mediziner das Gefühl, wenn das Gehör nach einem Disco- oder Konzertbesuch piepsend Protest anmeldet und die Welt nur noch wie durch Watte wahrnimmt. Nach ein, zwei Tagen meldet sich das Sinnesorgan in der Regel wieder erholt zurück. Dachte man jedenfalls.
Der amerikanische Neurobiologe Charles Liberman war der Erste, der misstrauisch wurde. Ihm fiel schon in den 1980er Jahren an seinen Versuchstieren auf, dass nicht nur die Sinneszellen im Ohr beschädigt waren, wenn er die Mäuse zwischen zwei dröhnende Boxen setzte. Auch die Synapsen, die diese Haarzellen als eine Art Kontaktstecker mit dem Nerven und damit dem Gehirn verbinden, hatten den Lärm nicht heil überstanden. Die meisten waren angeschwollen, manche sogar gerissen. Im Gegensatz zu den Sinneszellen, so stellte Liberman mit Erschrecken fest, schienen sich diese Bandsynapsen aber nie mehr von ihrem Trauma zu erholen. Die Verbindung blieb nach dem simulierten Discobesuch oft für den Rest des Nagetierlebens unterbrochen.
Hidden Hearing Loss nannte der Amerikaner seine Entdeckung: versteckte Schwerhörigkeit. Versteckt, weil ein solcher Synapsenverlust in einem normalen Hörtest gar nicht auffallen würde. Bei einem solchen Audiogramm wird ein Betroffener den vorgespielten Ton immer noch bei halbwegs normaler Lautstärke hören. Infolge der Synapsenschäden hat er aber Mühe, ihn von anderen zu unterscheiden und aus Umgebungslärm herauszufiltern. „Und genau das beobachtet man ja bei vielen Menschen im mittleren Lebensalter“, sagt der Biologe. „Sie bekommen in Restaurants und Kneipen zunehmend Probleme, andere im Stimmengewirr zu verstehen.“ Selbst wenn sie sonst scheinbar noch ganz normal hören.
Tatsächlich konnte Liberman, der an der Harvard Medical School einen Lehrstuhl für Otolaryngologie innehat, inzwischen bei 22 Musikstudenten nachweisen, dass diese im Vergleich zu zwölf weniger lärmgewöhnten Kommunikationswissenschaftlern schlechter in Wortverständnistests abschneiden, wenn sie von Hintergrundlärm umgeben sind. Zugleich wiesen aufwändige Spezialmessungen auf einen Bandsynapsenverlust in ihrem Ohr hin. Wahrscheinlich braucht es nicht einmal ein Rock-Konzert, um solche Zerstörungen in der Gehörschnecke anzurichten. Vielen Fachleuten gilt der Hidden Hearing Loss inzwischen als Vorläufer und Mitverursacher der ganz normalen Altersschwerhörigkeit, unter der heute etwa jeder zweite kurz vorm Rentenalter leidet. Darauf weisen jedenfalls Untersuchungen an Verstorbenen hin, die Ergebnisse zeigen: Bei älteren Menschen sind in der Cochlea, wie das Innenohr auch im Fachjargon genannt wird, fünfzig bis achtzig Prozent der Synapsen verschwunden. Möglicherweise entsteht der Schaden bereits bei alltäglichen Lärmbelastungen.
Mit seinen Thesen stieß Liberman nicht bei allen Kollegen auf Begeisterung. Seit etwa siebzig Jahren gilt in der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde der Lehrsatz: Ein Hörverlust ist gleichbedeutend mit einem Absterben von Haarsinneszellen – sieht man von den Fällen ab, in denen das Problem weiter außen lokalisiert ist: aufgrund eines verstopften Gehörgangs, eines gerissenen Trommelfells oder wenn im Mittelohr beispielsweise die Gehörknöchelchen kaputt sind. Laut diesem Credo nimmt mit den Jahren zunächst die Zahl der besonders empfindlichen äußeren Haarzellen ab. Diese helfen dem Innenohr als eine Art Verstärker, sich an wechselnde Lautstärken anzupassen, danach trifft es mit den inneren Haarzellen die eigentlichen Sinneszellen. Zunächst gehen jene zugrunde, die für die Wahrnehmung der höheren Frequenzen zuständig sind, später weiten sich die gestörten Tonbereiche aus.
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Versteckte Schwerhörigkeit: Keine Musik mehr, wenn sie laut ist
Versteckte Schwerhörigkeit
Keine Musik mehr, wenn sie laut ist
Zerstörte Hörzellen im Innenohr galten bisher als wichtigste Ursache der Schwerhörigkeit. Inzwischen spricht vieles dafür, dass der Mensch noch viel empfindlicher auf Lärm reagiert.
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Versteckte Schwerhörigkeit: Keine Musik mehr, wenn sie laut ist – FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung
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