Der Dokumentarfilm über die historischen Proteste an der Gallaudet University 1988 erhält eine Emmy-Nominierung und macht eine der bedeutendsten, aber oft übersehenen Bürgerrechtsbewegungen einem breiten Publikum zugänglich.
Die 2025 Emmy-Nominierungen wurden gestern am 15. Juli 2025 bekannt gegeben, und unter den nominierten Dokumentarfilmen befindet sich auch „Deaf President Now!“ von Apple TV+. Der Film, der von Nyle DiMarco und Davis Guggenheim co-dirigiert wurde, konkurriert in der prestigeträchtigen Kategorie „Outstanding Documentary or Nonfiction Special“ gegen Produktionen wie „Will & Harper“, „Martha“, „Pee-wee As Himself“ und „Sly Lives!“
„Deaf President Now!“ erzählt die außergewöhnliche Geschichte der acht Tage dauernden Proteste an der Gallaudet University im März 1988. Während des Auswahlverfahrens für einen neuen Universitätspräsidenten gab es zwei gehörlose Kandidaten gegen einen hörenden – die Chancen standen also zwei zu eins für einen gehörlosen Präsidenten. Dennoch entschied sich das Kuratorium für die hörende Kandidatin Elisabeth Zinser.
Diese Entscheidung löste eine Welle des Protests aus, die weit über den Campus hinausging. Es war nicht nur die falsche Wahl, sondern Jahre aufgestauter Wut, die sich in den Protesten entlud – Jahre der Unterdrückung und Diskriminierung. Die Studierenden forderten nicht nur einen gehörlosen Präsidenten, sondern kämpften um grundlegende Anerkennung und Repräsentation in einer Welt, die nicht für sie konzipiert war.
Nyle DiMarco: Ein vielschichtiger Aktivist als Filmemacher
Für Nyle DiMarco, der 2015 als erster gehörloser Gewinner von „America’s Next Top Model“ und 2016 als erster gehörloser Sieger von „Dancing with the Stars“ Geschichte schrieb, markiert „Deaf President Now!“ sein Debüt als Filmregisseur. Doch dieser Schritt war für den vielseitigen Aktivisten eine natürliche Entwicklung.
DiMarco stammt aus einer großen multigenerationalen gehörlosen Familie in Queens, New York, mit über 25 gehörlosen Verwandten, einschließlich seiner Eltern, Geschwister und Großeltern. Er graduierte an der Gallaudet University – der weltweit einzigen Universität, die speziell für gehörlose Studierende konzipiert wurde – mit einem Abschluss in Mathematik.
DiMarco betont, dass dieses Projekt für ihn von besonderer Bedeutung war: „Ich bin mit dieser Geschichte aufgewachsen. Ich komme aus einer riesigen gehörlosen Familie. Ich bin gehörlos in der vierten Generation. Das ist eine große Geschichte in unserer Gemeinschaft und auch in meiner Familie.“
DiMarco erklärt seine Motivation für die Co-Regie: „Ich wollte dieser Geschichte gerecht werden. Ähnlich wie bei der eigentlichen Bewegung wollten die Studierenden einen gehörlosen Präsidenten, der sie führt, weil das damals der beste Ansatz war. Ich wollte, dass diese Geschichte von gehörlosen Menschen erzählt wird und gehörlose Menschen hinter den Kulissen arbeiten.“
Die Zusammenarbeit mit dem Oscar-prämierten Regisseur Davis Guggenheim („An Inconvenient Truth“, „Still: A Michael J. Fox Movie“) erwies sich als fruchtbar. DiMarco lernte viel über die Kunst des Geschichtenerzählens: „Ich habe so viel darüber gelernt, wie man eine Geschichte auf eine bestimmte Weise erzählt und sie auf die beste Art und Weise verdaulich macht. ‚Deaf President Now!‘ ist eine komplexe Geschichte mit vielen Schichten.“

Innovative Erzähltechniken
Der Film nutzt innovative filmische Techniken, um das Publikum in die Erfahrungswelt gehörloser Menschen einzuführen. Anstatt Feueralarme zu hören, sehen wir blinkende Lichter in den Fluren. In bestimmten Momenten, wie während der ersten Nacht des Protests oder in einer überfüllten Turnhalle, wird der Ton komplett ausgeblendet, und wir können nur die Energie auf der Leinwand wahrnehmen.
Diese „Deaf Point of View“-Erzähltechnik ist besonders wirkungsvoll in einer Szene mit Jane Bassett Spilman, der Vorsitzenden des Universitätskuratoriums, die sich beschwert, es sei schwer, über die Geräusche eines Feueralararms und schreiender Menschen zu sprechen. Die Studierenden und wir als Zuschauer hören überhaupt nichts – eine kraftvolle Demonstration der unterschiedlichen Wahrnehmungswelten.
Der Film erhielt auf Rotten Tomatoes 100% positive Kritiken von 33 Kritikern und auf Metacritic eine Bewertung von 82 von 100 Punkten, was „universelle Anerkennung“ bedeutet. Matt Zoller Seitz von RogerEbert.com vergab vier von vier Sternen und schrieb: „Roger Ebert beschrieb das Kino berühmterweise als eine Maschine, die Empathie erzeugt. Dieser Film ist diese Maschine: ein unerbittlicher Motor, der von Idealismus und Handwerk angetrieben wird.“
Ein wichtiger Moment in der Bürgerrechtsgeschichte
Die DPN-Bewegung war mehr als nur ein Universitätsprotest. Die nationale Medienberichterstattung über die Proteste brachte wichtige Sichtbarkeit für die Gehörlosenrechtsbewegung und half dabei, 1990 die Verabschiedung des Americans with Disabilities Act voranzutreiben.
Für DiMarco ist die ultimative Botschaft von „Deaf President Now!“ über die Macht des Protests, Veränderungen herbeizuführen, relevanter denn je. Der Film zeigt, wie vier Studierende – Greg Hlibok, Jerry Covell, Bridgetta Bourne-Firl und Tim Rarus, bekannt als die „Gallaudet Four“ – erfolgreich authentische Repräsentation in der Führung forderten und damit den Lauf der Geschichte veränderten.
DiMarco ist begeistert über die gehörlose Repräsentation beim Sundance Film Festival 2025, wo neben seinem Film auch Shoshannah Sterns „Marlee Matlin: Not Alone Anymore“ Premiere hatte. Dennoch sieht er noch viel Raum für Verbesserungen: „Ich bin für mehr gehörlose Repräsentation in dieser Branche. Ich habe das Gefühl, wir sind an einem Punkt, wo wir wirklich aufeinander aufbauen können.“
Die Emmy-Nominierung für „Deaf President Now!“ ist nicht nur eine Anerkennung für DiMarcos filmisches Debüt, sondern auch ein wichtiger Schritt zur Sichtbarmachung einer Bürgerrechtsbewegung, die „viel zu lange in der Geschichte, die wir erzählen, auffällig abwesend war“, wie DiMarco es formuliert.
„Deaf President Now!“ ist auf Apple TV+ verfügbar. Die 77. Emmy-Verleihung findet am 14. September 2025 statt und wird live auf CBS übertragen.