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You too – eine einzigartige Show von internationaler Tragweite

Kultur
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geschrieben von Celine Remplon

Von Mittwoch, dem 17. Januar, bis Sonntag, dem 21. Januar 2024, wurde online eine einzigartige Aufführung gezeigt: „You too“. Das Stück ist das Ergebnis einer Koproduktion zwischen Riksteatern Crea, IVT und CinéSourds. Es handelt von häuslicher Gewalt in der Gehörlosengemeinschaft: Die schwedische Journalistin Sara, gespielt von Josephine Olvhøj Kirkegaard, interviewt die französische Aktivistin Camille, gespielt von Winona Guyon.

Für die neun Aufführungen wurden 1.229 Karten verkauft, und das Stück wurde in 51 Ländern gezeigt. Die Gesamtzahl der Zuschauenden ist ungewiss, da mit einem Ticket mehrere Personen die Vorstellung sehen konnten. Nach Schätzungen des Teams könnten es fünfmal mehr gewesen sein als die Anzahl der verkauften Karten.

Mindy Drapsa: „Ich möchte Ihnen allen von ganzem Herzen danken, meinem Team für seine hervorragende Arbeit und den Menschen, die uns zugeschaut haben. Ich bin begeistert!“

Mindy Drapsa, die künstlerische Leiterin von Riksteatern Crea, erklärte uns, dass ihr die Idee, dieses Stück online aufzuführen, während der Covid-Pandemie kam. Alle kulturellen Einrichtungen waren geschlossen, ein renommiertes Theater in Stockholm hatte die Idee, eine Online-Aufführung zum Thema Klima zu geben. Mindy Drapsa sah sich die Aufführung mit ein paar Freund*innen an. Für sie war es eine sehr bereichernde Erfahrung, alle waren fasziniert und bewegt. Unter den Anwesenden war auch Mia Modig, die Drehbuchautorin von „You too“ und Gründerin der schwedischen Frauenschutzorganisation NKJT. Sie hatte die Idee, eine Online-Show zu veranstalten, die sich an ein gehörloses Publikum richtet. Mit grünem Licht von Mindy Drapsa arbeitete sie ein Jahr lang an einem Drehbuch und nahm dafür auch an einer Schreibresidenz teil. Im Jahr 2023 war der Text fertig und die Produktion konnte beginnen.

Mia Modig berichtete uns, dass die Zusammenarbeit mit dem IVT auf eine lange gemeinsame Geschichte zurückgeht. Mia Modig kennt das IVT und den Verein FSCS gut, was auch der Grund dafür ist, dass sie eine französische Figur in ihr Werk integriert hat. Der IVT schlug Winona Guyons für diese Rolle vor.

Ich fragte Winona Guyon, wie die Vorbereitung der Aufführungen und die Zusammenarbeit mit ihrer Partnerin Josephine Olvhøj Kirkegaard verliefen.

Winona Guyon: „Ich erinnere mich an das erste Lesen des Drehbuchs, es war eindeutig von einer tauben Person geschrieben worden! Es fühlte sich gut an, nicht Dinge darin zu sehen, die taube Menschen nie tun würden. Es passte gut zur Gehörlosenkultur. Es gab all die Erfahrungen, Hindernisse und Herausforderungen, die uns taube Menschen so bekannt sind. Es war ein echtes Vergnügen, diesen Text zu lesen. Das bedeutete für mich auch, dass es mir leichter fiel, diesen umzusetzen! Herausfordernd war jedoch die Tatsache, dass das Drehbuch geschrieben war. Worte und Gebärden haben nichts miteinander zu tun, wir mussten also an der Anpassung und der Übersetzung arbeiten.

Ich habe Josephine über eine Instagram-Liveübertragung kennengelernt. Zu dieser Zeit vor drei Jahren während Covid ereignete sich ein Skandal: Da hatte ein Mann ein humorvolles Video über Gewalt gepostet, in dem er seine Frau schlug. Wir waren entsetzt und haben viel über diese inakzeptable Situation diskutiert. Wir beide haben uns gut verstanden, dann haben wir den Kontakt jedoch verloren. Und nun treffen wir uns wieder, um an demselben Thema zu arbeiten! Die Zusammenarbeit lief reibungslos. Zum Glück haben wir die gleichen Werte und die gleiche Einstellung zu Gewalt, so gab es keine Meinungsverschiedenheiten. Es war sehr angenehm, mit ihr zu arbeiten.“

Was hälst du von der Entscheidung, die Show auf Zoom zu zeigen?

Winona Guyon: „Dieses Thema, Gewalt im Allgemeinen, muss weltweit sichtbar und diskutiert werden. Nur auf welchem Wege? Mit Zoom war es einfach. Außerdem ist die Gehörlosengemeinschaft klein, was bedeutet, dass das Publikum auf nationaler Ebene klein gewesen wäre. Um dieses Publikum zu erweitern, mussten wir auf die internationale Ebene gehen. Die Menschen mussten so auch nicht reisen, um die Aufführung zu sehen, sondern konnten zu Hause bleiben. Es gibt verschiedene Meinungen über den Ticketpreis. Der Preis hätte für manche Menschen zu teuer sein können. Es gab jedoch die Möglichkeit, mit mehreren Personen über ein Ticket zuzuschauen und den Ticketpreis so aufzuteilen. Die finanziellen Situationen sind unterschiedlich, wir haben so die Möglichkeit gelassen, frei zu wählen und ich betrachte dies als eine Form des Aktivismus.“

In dem Stück wird eine überraschende Theorie aufgestellt: Oralismus ist teilweise für die Gewalt in der Gehörlosengemeinschaft verantwortlich. In der Tat mussten sich Gehörlose jahrzehntelang und auch heute noch dem Oralismus unterwerfen und hatten Schwierigkeiten, sich auszudrücken. Mit jedem Misserfolg haben sie sich ein wenig mehr verschlossen, bis sie schließlich gar nichts mehr sagten. Dies wiederholt sich im Fall der häuslichen Gewalt, wo aus vielen Gründen geschwiegen wird: die Kleinheit der Gehörlosengemeinschaft und die zahlreichen Vernetzungen zwischen den Menschen, der Mangel an Informationen aufgrund der Sprachbarrieren, die Seltenheit von zugänglichen Einrichtungen, die im Umgang mit tauben Menschen geschult sind…

Ein weiteres Thema, welches im Stück diskutiert wird, ist die internationale Gebärde für das Wort „Gewalt“. Die am weitesten verbreitete Gebärde symbolisiert physische Gewalt, diese Gebärde verdeckt jedoch alle anderen Formen von Gewalt: sexuelle, psychologische, verbale, wirtschaftliche, administrative usw. Auch die Eskalation der Gewalt wird unsichtbar gemacht, wobei der körperlichen Gewalt im Allgemeinen eine andere, mehr oder weniger offensichtliche Gewalt vorausgeht. Aus diesem Grund hat das Team beschlossen, eine andere, allgemeinere Gebärde zu verwenden. Winona Guyon sagte uns, dass sie die Gebärde in LSF für angemessen hält, weil sie eher neutral ist. Diese Diskussion konnte Menschen aus verschiedenen Ländern dazu anregen, auch einen kritischen Blick auf ihre eigenen Gebärdensprachen und verwendeten Gebärden zu werfen.

Zum Schluss habe ich Winona Guyon noch gefragt, welche Bilanz sie aus der Show zieht.

Winona Guyon: „Es gab eindeutig einen großen Erfolg in den sozialen Netzwerken, das hat mich wirklich beeindruckt. Die Bilanz ist für das gesamte Team sehr positiv. Unsere Erwartungen wurden übertroffen, das freut uns sehr! Es ist ein klarer Beweis für die Solidarität in der Gehörlosengemeinschaft. Das Thema ist wichtig und wurde ernst genommen, das ist fantastisch! Das hatten wir absolut nicht erwartet.

Was die Reaktionen betrifft, so waren sie sehr unterschiedlich. Das gibt uns zu denken, denn nach jeder unserer Aufführungen hatten wir diese oder jene Reaktion, die sich voneinander unterschieden. Es gab Bestürzung, insbesondere bei alleinstehenden isolierten Personen. Diese empfanden zum Teil ein Unbehagen, nachdem die Vorstellung zu Ende war, und hatten das Bedürfnis, sich mit jemandem auszutauschen. Das machte uns klar, dass es Bedarf an einem Austausch und einer Debatte gab, doch es war kompliziert für uns, dies umzusetzen. Außerdem muss man bedenken, dass wir nur Schauspielerinnen sind. Es ist nicht unsere Aufgabe, eine Debatte zu führen. Das ist eine schwierige Aufgabe für uns Schauspielerinnen, denn wir verstehen das Bedürfnis nach einem Austausch. Und es gab andere Menschen, deren Trauma reaktiviert wurde und die sich in dieser Aufführung wiederfanden.

Es gibt die schwedische Organisation NKJT, die sich dem Schutz von Frauen verschrieben hat. Die bieten, glaube ich, zwei- oder dreimal pro Woche einen Service an. Eine Online-Bereitschaft, die Frauen zuhört und sie unterstützt. Der Verein hat sich mit der Aufführung „You too“ koordiniert: Am Ende jeder Vorstellung öffnete sich die Sprechstunde. Bei dieser Gelegenheit wurden auch Personen eingestellt, die internationale Gebärden beherrschen.

Es gibt allerdings eine Sache, die ich persönlich bedauere. Ich wollte unbedingt die Männer einbeziehen, dass sie sich dieses Spektakel in großer Zahl ansehen. Konkret wurden die Aufführungen überwiegend von Frauen angeschaut und weitergeleitet. Es gab zwar einige Männer, aber diese kannten den Feminismus bereits…Ich wollte, dass es Männer aus allen Bereichen gibt! Aber es gab nur wenige von ihnen und das enttäuschte mich. Ich werde oft gefragt, ob es wirklich vorbei ist. Und unter diesen Personen gibt es auch Männer, die sich an mich wenden. Wenn ich das sehe, ist das Negative, dass die Aufführungen leider vorbei sind, und der positive Punkt ist, dass es Männer gibt, die die Show sehen wollen! Das bedeutet, dass die Show funktioniert und ich bin zufrieden damit. Wird es eine Wiederholung der Online-Show geben? Wir werden sehen, nur das Leben wird es uns sagen!“

Reportage von Celine Remplon (Média’pi!) im Rahmen des DJE Projekts.

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1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort

  • Das ist ein sehr interessantes Thema. Ich hoffe wirklich sehr, dass die Show wiederholt wird. Dann werde ich viele Leute aus der Gehörlosengemeinschaft darüber informieren und natürlich mir sie selbst anschauen.

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