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Taube Intervention bei einem gedolmetschten Konzert

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Unter dem Titel “Konzerte Fett Feiern Inklusiv – Kon-Fett-I – Musik in Gebärdensprache” fand am 20.09.19 im SO36 ein Punk-Konzert mit den Bands “Suck”, “Banana of Death” und “Metzer 58” statt. Die Konzerte wurden von den hörenden Dolmetscher_innen von #DieMitDenHändenTanzen in die Deutsche Gebärdensprache übersetzt.

Während des Auftritts von “Metzer 58” standen mehrere taube Aktivist_innen vor der Bühne, hielten selbstgemalte Schilder in Richtung des Konzertpublikums und verzogen dabei keine Miene. Auf den Schildern war unter anderem zu lesen: “Wir wollen keine Vermarktung unserer Muttersprache!”, “Hat jemand uns gefragt, wie wir Musik verstehen wollen?”, “#DeafPerformanceNow!”

Schon nach kurzer Zeit wurde die Band auf das Geschehen vor der Bühne aufmerksam und bat die Aktivist_innen auf die Bühne, um den Protest dort fortzuführen und herauszufinden, worum es ihnen inhaltlich ging.

Schnell wurde deutlich, dass die Aktivist_innen es toll finden, wenn Veranstalter_innen Barrieren für Taube Menschen abbauen wollen und Taube Menschen als Publikum von (Musik-)Veranstaltungen mitdenken. Sie kritisieren die Form der Umsetzung. Allzu oft buchen die Veranstalter_innen einfach hörende Dometscher_innen, die das Konzert übersetzen sollen und denken sich: “Super! Inklusion: check!” und machen weiter, ohne genau über ihr Konzept nachzudenken.

Leider ist es wie so oft im Leben nicht ganz so einfach. Die dahinter stehende Problematik hat verschiedene Facetten: Zum einen die der Sichtbarkeit und der Identifikation. Die meisten Tauben Menschen können sich logischerweise nicht mit hörenden Dolmetschenden identifizieren. Taube Menschen kommen somit wiederholt nur als Publikum vor der Bühne vor, während ihre eigene Sprache und Kultur gerade auf der Bühne präsentiert und nicht zuletzt von vielen hörenden Konzertgästen beklatscht wird. Zum anderen geht es ganz pragmatisch um die Verständlichkeit der Texte. Oftmals werden die Übersetzungen hörender Dolmetscher_innen nicht oder nur unzureichend verstanden. Zu guter Letzt geht es natürlich auch um die Privilegien hörender Dolmetscher_innen und ihrer mangelnden Reflexion darüber. Das Musikdolmetschen auf großen wie kleinen Bühnen geht mit einer hohen medialen Aufmerksamkeit einher. Nicht selten finden sich die hörenden Dolmetscher_innen in Talkshows oder Features wieder, in denen sie Fragen zur Gebärdensprache oder zur Taubenkultur oder gar Fragen über taube Menschen beantworten, ohne selbst taub zu sein.

Was genau wollen die Aktivist_innen eigentlich verändern? Zum Musikdolmetschen muss man doch hören können, oder?

Nein, hören zu können, ist grundsätzlich keine Voraussetzung. Es gibt taube Performende und taube Dolmetschende, die selbstverständlich musikalisch performen und übersetzen.

Der essentielle Unterschied: das taube Publikum kann sich mit dieser Repräsentation identifizieren, die Übersetzungen meist viel besser verstehen und die mediale Aufmerksamkeit erreicht die Menschen, die das Interesse auch betrifft, nämlich die tauben Menschen selbst. Taube Menschen wurden, gerade in Deutschland, jahrzehntelang für ihre Sprache verpönt, sie wurden bevormundet, degradiert und unterdrückt. Prozesse, die zum Teil bis heute anhalten. Im Rampenlicht, gefeiert für die Ästhetik der Sprache, stehen aber nun zumeist Hörende, die den Ruhm für die Sprache einer unterdrückten Minderheit ernten.

Innerhalb der Tauben Community und der Dolmetsch-Szene ist das alles kein neuer Hut. Die Debatte wird bereits seit längerer Zeit geführt. Hörende Dolmetscher_innen, die viel im Bereich des Musikdolmetschens tätig sind, wurden mehrfach konkret mit diesen Anliegen adressiert. Leider hat sich bislang kaum was geändert. Nach wie vor dolmetscht zum Beispiel die Gruppe #DieMitDenHändenTanzen verschiedene Veranstaltungen, in 2019 unter anderem auf dem Wacken Open Air und dem Lollapalooza Berlin. Mehrmals wurden dabei, zum Teil entgegen anders verlautbarter Aussagen, keine Tauben Dolmetsch-Kolleg_innen angefragt.

Das besagte Konzert im SO36 nahmen die Aktivist_innen zum Anlass, um ihre Forderungen nochmals deutlich zum Ausdruck zu bringen.

Musikveranstaltungen und Veranstaltungen insgesamt für Taube und schwerhörige Menschen zu öffnen ist großartig, weiter so! Aber bitte bezieht taube Expert_innen mit ein, die euch bei der Umsetzung unterstützen können (eine Liste mit Links findet ihr unter dem Text). Taube und hörende Performende und Dolmetschende sollten zusammenarbeiten, um eine optimale Übersetzung sicher zu stellen. Geht ins Gespräch mit Tauben Menschen und informiert euch aus erster Hand über die Bedürfnisse und politischen Forderungen.

So fand auch der Protest am 20.09. im SO36 einen erfolgreichen Ausgang. Nach dem Konzert fanden sich Musiker_innen der Band “Metzer 58” und die Aktivist_innen zusammen, um die Forderungen und den Anlass des Protestes tiefgründiger zu besprechen. Die Band konnte die Kritik voll und ganz verstehen und setzte sich noch am selben Abend mit den Veranstalter_innen zusammen, um diese Punkte weiter zu geben. Für die nächste Veranstaltung sollen schon von Anfang an Taube Menschen in die allgemeine Planung und die Organisation der gebärdensprachlichen Performance mit einbezogen werden. Der Kontakt zu den Veranstaltenden steht bereits, wir freuen uns schon auf das nächste Konzert – mit Tauben Performenden auf der Bühne!

Was bisher geschah…

Debatten über das enorme Machtgefälle und über hörende Privilegien hörender Dolmetscher_innen gegenüber Tauben Menschen sind nicht neu. Die Diskussion wurde vor allem von Martin*a Vahemäe-Zierold angestoßen vor ca. drei Jahren. Am 25.8.2018 machte Martin*a Vahemäe-Zierold die Thematik durch den Artikel “Optische Täuschung” in der taz der Mehrheitsgesellschaft zugänglich. In dem Artikel beschrieb Vahemäe-Zierold unter anderem, dass er_sie die von hörenden Dolmetschenden gedolmetschten Lieder zu einem großen Teil nicht versteht. Auch beschrieb er die bittere Ironie, dass hörende Dolmetschende für ihren Einsatz auf der Bühne gefeiert werden, während er_sie dafür als tauber Mensch dafür verspottet wird. Es folgten Stellungnahmen vom Bundesverband der GebärdensprachdolmetscherInnen e.V. und vom Bundesverband der tauben GebärdensprachdolmetscherInnen, ebenso eine Stellungnahme von anonymisierten Gebärdensprachdolmetscher*innen.

Diese Ereignisse traten die bereits schwelende Debatte endgültig los, die schließlich zu einer Podiumsdiskussion über kulturelle Aneignung am 1.12.2018 in Köln führte. Dabei waren Martin*a Vahemäe-Zierold, der taube Dolmetscher Rafael-Evitan Grombelka, Asha Rajashekhar und Laura M. Schwengber, selbst die Gründerin von #DieMitDenHändenTanzen.

In der Podiumsdiskussion wurden unterschiedliche Aspekte kultureller Aneignung beleuchtet. Die Diskussion machte deutlich, dass Musikdolmetschen durch hörende Dolmetscher_innen, die nicht mit Tauben Kolleg_innen zusammenarbeiten, kulturelle Aneignung ist. Hörende Dolmetscher_innen (allen voran Laura M. Schwengber) wurden explizit adressiert.

Durch die Podiumsdiskussion sollte Laura M. Schwengber verstanden haben, dass ihr Verhalten der Taubengemeinschaft schadet. Aber stattdessen macht die Gruppe #DieMitDenHändenTanzen ungeniert weiter.

Kürzlich erschien ein Facebook-Post von der Gruppe: “Sobald wir mehr Infos zu den Forderungen der tauben Aktivist*innen haben, werden wir uns dazu äußern.” Dieser Post suggeriert, dass die Gruppe nicht wüsste, um welche Kritik es sich bei dem Protest handelt.

Unter anderem aus diesem Grund wurden die Hintergründe hiermit nochmals dargelegt, auch unsere Forderungen benennen wir gern erneut.

Die Forderungen der Aktivist_innen:

  • Taube Präsenz auf der Bühne – durch Taube Performende und Taube Dolmetschende, mit denen wir uns identifizieren können!
  • Sichtbarkeit Tauber Menschen und Tauber Kultur!
  • Keine Aneignung unserer Kultur, keine Vermarktung unserer Sprache ohne unsere Beteiligung!
  • Kritische Reflexion der eigenen Privilegien und der eigenen Machtposition durch hörende Dolmetscher_innen!

Weiterführende Links:

Tags: Aktivismus, Berlin, Dolmetschen, Gebärdensprachdolmetschen, Musikdolmetschen, SO36

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