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Gebärdensprachavatar-Stellungnahme bekommt Antwort 

Die Gebärdensprachavatar-Projekte AVASAG und BIGEKO haben Kritik aus Bayern auf sich gezogen. Auf eine Presseanfrage zeigt sich das Verbundprojekt, vertreten durch Charamel, irritiert über die Stellungnahme des Kompetenzzentrums Gebärdensprache in Bayern e. V. (KOGEBA). Die yomma GmbH bezieht auf Nachfrage von Taubenschlag Stellung zur Avatar-Kritik. Auch Ralph Raule, seines Zeichens Beauftragter für Medien und Digitalisierung beim DGB und Gesellschafter bei der yomma GmbH (und Gebärdenwerk GmbH) antwortete auf unsere Nachfragen zum Thema Gebärdensprachavatare. Wir fassen die Antworten, die uns in voller Länge vorliegen,  hier zusammen.

Kritik an Gebärdensprachavatar-Projekten aus Bayern und Österreich

Am 24. November 2023 hat das KOGEBA, das beim Gehörlosenverband München und Umland e. V. (GMU) angesiedelt ist, eine kritische 11-seitige Stellungnahme zu den laufenden Gebärdensprachavatar-Projekten AVASAG und BIGEKO veröffentlicht. Es wird kritisiert, dass es “hinter den vermeintlichen technologischen Durchbrüchen” der Avatar-Entwicklung “Unstimmigkeiten und Probleme” gäbe. Ebenso gibt es “ethische Bedenken hinsichtlich des Schutzes der Gebärdensprache und der Gehörlosenkultur”.

“Die Projekte AVASAG und BIGEKO werden unter verschiedenen Gesichtspunkten kritisch hinterfragt, angefangen bei der fraglichen Kostenersparnis bis hin zu bedenklichen Missverständnissen in Notfallsituationen. Es wird argumentiert, dass die Forschung mehr auf finanzielle Ziele ausgerichtet ist als auf nachhaltige Lösungen für die Gehörlosen-Community.” KOGEBA-Stellungnahme, Seite 2

Den Beteiligten, darunter u.a. die Avatar-Firma Charamel GmbH, die yomma GmbH sowie das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz GmbH, sollen laut der KOGEBA vor allem wirtschaftliche Interessen verfolgen. KOGEBA zufolge fehlt eine Auswertung “empirischer Forschungsergebnisse” zum Thema Gebärdensprachavatare  sowie die Einbeziehung neutraler tauber Expert*innen. Das sei insbesondere in Hinsicht auf ethische Fragen und in Bezug auf die Qualitätssicherung wichtig.

Doppelrolle bei DGB und in der Gebärdensprachavatar-Entwicklung unter Beschuss

Ein wichtiger Punkt der Kritik bezieht sich auf Ralph Raule, der nicht namentlich genannt wird, aber als “Beauftragter für Medien und Digitalisierung” des Deutschen Gehörlosen-Bundes e. V. (DGB) eindeutig erkennbar ist. Das KOGEBA kritisiert konkret, dass er eine Doppelrolle innehabe. Außerdem wird in der Stellungnahme gefordert, einen neutralen Beauftragten beim DGB einzusetzen. Dieser solle “unabhängig von kommerziellen Unternehmen” agieren. Weiter sagt KOGEBA in der Stellungnahme, dass der “Stellenwert der Deutschen Gebärdensprache und das Erbe der Gehörlosenkultur” “gewissermaßen durch den Einsatz der Avatare beeinträchtigt oder zerstört werde”.

Taubenschlag schrieb am 29. November 2023 die in der KOGEBA-Stellungnahme kritisierten Akteure AVASAG, BIGEKO, yomma und auch Ralph Raule in seiner Rolle beim DGB an. Aus den Antworten zeichnet sich ein anderes Bild.

Charamel: Mitwirken Gehörloser “wesentliche Voraussetzung” für das Gelingen von Gebärdensprachavataren

Alexander Stricker von Charamel bezieht stellvertretend für die Projekte AVASAG und BIGEKO Stellung und antwortete unmittelbar am 30. November 2023. Bei den Projekten ist auch die yomma GmbH und Ralph Raule eingebunden. Stricker bedauert “außerordentlich, dass wir [AVASAG/BIGEKO] kein[e] Möglichkeit bekommen haben, uns zu den Kritikpunkten der KOGEBA zu äußern und wir hierzu nicht persönlich befragt wurden.” Er verweist darauf, dass es vorab Fokusgruppengespräche mit Gehörlosen zum Thema Gebärdensprachavatar gegeben hätte und im Projektteam gehörlose Menschen aktiv beteiligt seien. Zusätzlich gibt es einen Beirat, der ethische, rechtlche und soziale Fragestellungen zum Thema Gebärdensprachavatare behandele und aus gehörlosen und hörenden Mitgliedern bestehe. Das sei “von Anfang an immer kommuniziert” worden, so Stricker. Das Mitwirken der Zielgruppe der gehörlosen Menschen sein eine “wesentliche Voraussetzung” für die Durchführung des Projekts.

Gebärdensprachavatar: Das Bild zeigt eine sehr detaillierte und realistische Darstellung eines humanoiden Roboters, der an einem Schreibtisch sitzt.

Stricker: Unternehmen gehen selber ein Risiko ein, wenn sie Gebärdensprachavatar-Förderung beantragen

Zu den Vorwürfen gegenüber Ralph Raules Doppelrolle sagt Stricker, dass dieser ein “anerkannter Experte auf dem Gebiet der Barrierefreiheit für Gehörlose und dem Thema Gebärdensprache” sei. Das sei auch der Grund gewesen, ihn für das Projekt zu kontaktieren. Stricker verweist darauf, dass Raule immer noch an die Abstimmungsprozesse des Deutschen Gehörlosen-Bundes gebunden sei und keine eigenmächtigen Entscheidungen über Gebärdensprachavatare im Namen des Verbands treffen würde. “Eine öffentliche Stellungnahme” zu den Vorwürfen des KOGEBA sei nicht geplant, so Stricker. Die Kritik des wirtschaftlichen Interesses weist er ab: Die Unternehmen würden die Projektfinanzierung nur bekommen, wenn sie mit einem Eigenanteil von 40-60 % auch selber ein Risiko eingehen. Er sieht abschließend in dem Avatar-Projekt eine Chance für mehr Sichtbarkeit für Gebärdensprachen, auch weil so Texte übersetzt würden, “bei denen ohnehin keine menschliche Übersetzung zur Verfügung stehen würde.

Raule: Gebärdensprachavatar “ein wichtiges Thema für die Deaf Community”

Ralph Raule begrüßt in seiner Antwort am 7. Dezember 2023 die Stellungnahmenn der KOGEBA “grundsätzlich”. “Es ist ein wichtiges Thema für die Deaf Community”, so der ehrenamtliche Beauftragte für Medien und Digitalisierung, der auch Gesellschafter von Gebärdenwerk GmbH und yomma GmbH ist sowie als Senatskoordinator für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen in Hamburg tätig war.

“Ethische Gesichtspunkte spielen eine große Rolle und müssen berücksichtigt werden – das steht außer Frage. Wir sehen ja gerade, wie sehr die Themen Künstliche Intelligenz (KI) und Avatare unsere Gesellschaft beschäftigen. Es vergeht kein Tag, an dem nicht irgendwo in den Medien darüber berichtet wird. Bei vielen Berichten werden ethische Gesichtspunkte vernachlässigt und kritische Stimmen nicht wahrgenommen. Oft bestimmen reißerische Überschriften und gewagte Thesen die Schlagzeilen.” – Ralph Raule, Gesellschafter bei Gebärdenwerk GmbH und yomma GmbH, Beauftragter für Medien und Digitalisierung beim Deutschen Gehörlosen-Bund e. V.

Für ihn ist es ein gewisser Spagat zwischen der Nähe zum Thema durch seine Arbeit und der kritischen Distanz, die ihm gleichzeitig abverlangt wird. Er verweist ebenso darauf, dass er im Hintergrund von der Expertise des DGB gestützt wird und auch von der Bundesversammlung, also den Mitgliedsverbänden, seine Entscheidungsbefugnisse erhält. Er sieht den Hauptkritikpunkt der Stellungnahme des KOGEBA in der Darstellungsqualität, die ein Gebärdensprachavatar haben müsse, also der “Verständlichkeit”. Er teilt den Standpunkt von Stricker: “Die Sicherung der Qualität kann auch nur in der Zusammenarbeit mit Experten aus der Deaf Community erfolgen.” Das seien z.B. taube Gebärdensprachdolmetscher*innen. Auch wenn die Fokusgruppen und Webinarteilnehmenden “zufrieden” gewesen sein sollen, sieht Raule Verbesserungspotential: “Besser geht es sicherlich immer.”

yomma: “Viele der Fragen aus der Stellungnahme sind wichtig”

Von der yomma GmbH kam die Rückmeldung am 8. Dezember 2023: Die ethischen Probleme seien ein “bedeutungsvolles Thema” – yomma würde sehr darauf achten, dass “ethische Gesichtspunkte” berücksichtigt würden. “Viele der Fragen aus der Stellungnahme von KOGEBA sind wichtig und müssen gestellt werde”, so Henrik Müller, Geschäftsführer der yomma GmbH. Müller bestätigt wie auch Stricker und Raule, dass gehörlose Expert*innen mit Fachkompetenz – zertifizierte Gebärdensprachdolmetscher*innen – in das Projekt eingebunden sind. Auch hörende Dolmetscher*innen seien dabei. Ebenso bestätigt er, dass Raule keine operative Rolle (= keine Entscheidungen trifft) bei yomma mehr habe, sondern nur noch Gesellschafter sei. Die wesentlichen Fragen, die sich aus der KOGEBA-Stellungnahme ergeben, sieht er durch die AVASAG/BIGEKO-Antwort von Alexander Stricker beantwortet: “Insofern ist abgesehen von diesen Antworten keine weitere Stellungnahme von unserer Seite aus geplant.” Abschließend teilt Müller noch seine Sicht auf die Stellungnahme und das Thema Gebärdensprachavatar:

“Für uns ist das Thema und die Herausforderungen von Forschungsprojekten sehr neu und wir lernen hier viel. Es ist auch spannend zu sehen, mit welchen Fragestellungen hier manche Personen hineinkommen und welche Hypothesen dabei aufgestellt werden. Daran erkennen wir, wie wichtig es ist, dass wir als gehörlose Experten mit im Boot sind und manche Denkfehler korrigieren können. In der Stellungnahme wird ja berechtigterweise darauf hingewiesen, dass in vielen Bereichen “Forschung mehr auf die Generierung von Mitteln ausgerichtet ist als auf die tatsächliche Entwicklung nachhaltiger und wirksamer Lösungen für die Gehörlosen-Community.” Insofern versuchen wir hier sicherzustellen, dass zumindest bei unseren Projekten die Auswirkungen auf die Teilhabe und Selbstbestimmung der Gehörlosen langfristig und positiv sind.” – Henrik Müller, Geschäftsführer der yomma GmbH

Der Diskussionsbedarf rund um die ethischen Bedenken beim Gebärdensprachavatar bleibt

Zusammenfassend sagen die in der KOGEBA-Stellungnahme Kritisierten also, dass sie die Vorwürfe ernst nehmen, aber die ethischen Probleme im Blick haben sowie gehörlose Expert*innen intensiv eingebunden seien. Eines der Kernprobleme sieht Raule im Vertrauen in die Qualität der Übersetzung, wie es auch aus der KOGEBA-Stellungnahme hervorgeht. Insgesamt zeigt die ursprüngliche Stellungnahme, dass Avatar-Projekte noch nicht das Vertrauen der Community gewonnen haben. Das Thema dürfte die Community noch eine Weile beschäftigen.

Tags: Avatar, Charamel, Deutscher Gehörlosen-Bund e.V., DGB, Gebärdensprachavatar, Gebärdensprache, Gebärdensprachen, Künstliche Intelligenz, Ralph Raule, yomma

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