Vorgestern, am 18. Juni 2025, hat das japanische Unterhaus ein Gesetz verabschiedet, das erstmals einen eigenständigen rechtlichen Rahmen zur Förderung der Japanischen Gebärdensprache schafft. Mit dem „Gesetz zur Förderung von Maßnahmen für die Gebärdensprache“ erkennt der Staat sie ausdrücklich als eigenständige Sprache an. Öffentliche Einrichtungen auf nationaler und kommunaler Ebene sind nun verpflichtet, konkrete Fördermaßnahmen umzusetzen – etwa den Ausbau von Dolmetschdiensten, mehr Sichtbarkeit in Bildung und Medien sowie barrierefreie Kommunikation im Verwaltungs- und Katastrophenschutzbereich.
Ein langer Weg zur rechtlichen Anerkennung
Bisher wurde die Japanische Gebärdensprache in Japan nur indirekt berücksichtigt, beispielsweise im Behindertengleichstellungsgesetz – ohne formale Anerkennung als eigene Sprache. Der Druck für ein umfassendes Gesetz wuchs über Jahre: Interessenvertretungen der tauben Community forderten rechtliche Gleichstellung, Zugang zu Informationen und Schutz vor Diskriminierung.
Das neue Gesetz ist ein Meilenstein – doch es steht am Ende eines ungewöhnlichen politischen Prozesses: Schon bis 2016 hatten alle 1.788 lokalen Parlamente des Landes entsprechende Gesetzesinitiativen befürwortet. Eine solche flächendeckende Unterstützung auf lokaler Ebene ist weltweit einmalig. Trotzdem blieb ein nationales Gesetz lange aus. Die rechtliche Basis bildete bis dato das „Grundgesetz für Menschen mit Behinderungen“ von 2011, das die Gebärdensprache erstmals als Sprache benannte – jedoch ohne konkrete Förderverpflichtung.
Japans Verhältnis zur Gebärdensprache war schwierig. Bereits 1878 wurde die erste Schule für taube Kinder gegründet. Doch von 1920 bis 1993 war Gebärdensprache im Unterricht verboten – gestützt auf einen internationalen Kongress 1880 in Mailand, der das lautsprachliche Lernen favorisierte. Erst in den 1960er-Jahren begannen erste Reformen. Eine landesweite Kampagne des Gehörlosenverbands führte 2010 dazu, dass innerhalb von drei Jahren alle Präfekturen ein Gebärdensprachgesetz unterstützten – ein beispielloser Erfolg zivilgesellschaftlichen Engagements.
Andere Länder waren schneller: Neuseeland erklärte 2006 seine Gebärdensprache zur dritten Amtssprache. In Deutschland wurde die Deutsche Gebärdensprache 2002 gesetzlich anerkannt. Finnland verankerte die Finnische Gebärdensprache 1995 in der Verfassung und erließ 2015 ein umfassendes Umsetzungsgesetz.
Wachsendes Interesse an Gebärdensprachen in Japan
Seit den Paralympics 2021 in Tokio steigt das gesellschaftliche Interesse an Gebärdensprachen. Immer mehr Menschen besuchen Kurse, um mit tauben Menschen aus dem Ausland kommunizieren zu können. Die Stadt Tokio unterstützt Fortbildungen finanziell, in Hiroshima entstehen neue Angebote mit tauben Guides für internationale Gäste.
Der Ausbau von Dolmetschkompetenz ist dringend notwendig: Aktuell gibt es in Japan rund 4.200 registrierte Dolmetschende für Japanische Gebärdensprache und nur sieben für International Sign. Bis zu den Deaflympics 2025 in Tokio sollen rund 100 neue Dolmetschende ausgebildet werden – in Kooperation mit Partnerländern wie Kanada, Litauen, Indonesien und Thailand.
Die Paralympics gelten in Japan als Wendepunkt: Der barrierefreie Ausbau der Infrastruktur, neue mediale Sichtbarkeit und politische Impulse führten zu einem verstärkten öffentlichen Diskurs über Behinderung und Inklusion. 95 % der Bahnhöfe Tokios wurden barrierefrei umgestaltet, der Flughafen Haneda erhielt internationale Auszeichnungen, und Gebärdensprache wurde sichtbarer im öffentlichen Raum.
Auch in Medien und Kultur werden Gebärdensprachen zunehmend präsenter. Der öffentlich-rechtliche Sender NHK sendet seit 1983 Programme mit Japanischer Gebärdensprache. Filme wie A Silent Voice (2016) brachten hörbehinderte Charaktere ins Mainstream-Kino. Aktivist*innen sammelten zehntausende Unterschriften für bessere Untertitelung. Das Gesundheitsministerium führte bereits 1989 eine staatliche Dolmetschzertifizierung ein, 2002 folgte eine nationale Ausbildungsstätte, 1997 ein verbindlicher Ethikkodex für Dolmetschende.
Die Kraft zivilgesellschaftlichen Engagements
Der Gehörlosenverband Japans hat in den vergangenen Jahrzehnten eine der wirkungsvollsten Kampagnen im Bereich der Behindertenrechte geführt. Präsident Fujisaburo Ishino betonte: „Alle lokalen Parlamente haben zugestimmt – das ist Ausdruck des Volkswillens. Wir werden diesen Rückenwind nutzen, um die Zentralregierung zum Handeln zu bewegen.“
Die Bewegung entwickelte fünf grundlegende Rechte: das Recht, Gebärdensprache zu lernen, zu nutzen, in Bildung einzusetzen, Informationen barrierefrei zu erhalten und an der Gebärdensprachkultur teilzuhaben. Grundlage war eine Auswertung von über 1.200 Diskriminierungsfällen.
Auch das japanische Kaiserhaus setzte ein Zeichen: Prinzessin Kiko lernte selbst Japanische Gebärdensprache und erwarb sogar ein Dolmetschzertifikat – ein symbolträchtiger Schritt mit großer gesellschaftlicher Wirkung.
Ausblick: Deaflympics 2025 als Chance
Japan steht heute an einem entscheidenden Punkt. Mit einer starken zivilgesellschaftlichen Basis, wachsendem internationalen Austausch und den Deaflympics 2025 vor Augen könnte das Land zum globalen Vorbild für Gebärdensprachrechte werden.
Japans Beispiel zeigt: Gesellschaftlicher Wandel muss nicht von oben beginnen. Graswurzelbewegungen können enormen politischen Druck entfalten. Großereignisse wie Paralympics und Deaflympics verändern die öffentliche Wahrnehmung. Praktische Lösungen im Alltag – wie barrierefreie Bahnhöfe oder digitale Dolmetschservices – machen Inklusion erlebbar. Und gesellschaftliche Akzeptanz wächst, wenn Gebärdensprache auch in Medien, Bildung und symbolträchtigen Institutionen sichtbar wird.