In Zusammenhang mit der „Entschuldigung von Hamburg“, bei der ein erster Schritt hin zur Aufarbeitung des oralistischen Terrors gemacht wurde, gab es große Diskussionen um das Abstimmungsverhalten. Ursprünglich gab es einen Widerspruch zwischen der Berichterstattung der Presse und dem Bericht von DGB-Präsident Ralph Raule, der persönlich zusammen mit vielen anderen Aktiven aus den Gehörlosen-Communities vor Ort war.
Die Presse, darunter die Süddeutsche Zeitung und der Norddeutsche Rundfunk, hatten unter Berufung auf die Deutsche Presse-Agentur berichtet, dass die rechtsextreme AfD sich der Abstimmung komplett enthalten hätte.
Dem gegenüber stand der Bericht von Ralph Raule, der in seinem Bericht meinte, dass alle Parteien der hamburgischen Bürgerschaft einstimmig für die Entschuldigung gestimmt hatten.
Was stimmt nun, und was stimmt nicht? Raule nahm sich die Verwirrung zu Herzen und widmete sich im präsidialen „Freitagsrückblick“ dem Thema. In der Aufregung auf der Besuchertribüne hatte er sich zwar versichert, dass alle einstimmig abgestimmt hätten, doch später musste er feststellen, dass es etwas differenzierter zugegangen war.
Die Abstimmung zum Antrag der SPD zusammen mit CDU, GRÜNE und Die Linke gliederte sich in zwei Teile mit Unterpunkten:
I. Vor diesem Hintergrund stellt die Hamburgische Bürgerschaft fest: 1. Durch den 1880 auf dem Mailänder Kongress beschlossenen Vorzug der Lautsprache, der in der Praxis in vielen Ländern als sogenanntes „Gebärdensprachverbot“ umgesetzt wurde, mussten viele gehörlose Menschen Gewalt und Leid erleben, das sich bis heute auf ihre Lebenslage auswirkt. 2. Die Folgen dieser strukturellen Gewalt, insbesondere in Bildungseinrichtungen, sind bis heute nicht umfangreich aufgearbeitet, anerkannt und entschädigt worden. 3. Die Umsetzung des sogenannten „Gebärdensprachverbots“ wird ausdrücklich bedauert. 4. Die Hamburgische Bürgerschaft bittet die Betroffenen für das in Hamburg erlittene Leid um Entschuldigung. II. Die Bürgerschaft möge beschließen: Der Senat wird ersucht, 1. sich auf Bundesebene für einen Entschädigungsfonds für heute Erwachsene, die als Kinder und Jugendliche in Schulen Leid und Unrecht auf Grund ihrer Hörschädigung erfahren haben, einzusetzen, 2. die Situation an Hamburger Schulen bezüglich der Erfahrungen und des Leides, das Kinder und Jugendlichen auf Grund ihrer Hörschädigung erlitten haben, unter Einbeziehung gehörloser Menschen als Expert:innen in eigener Angelegenheit und der Forschungsperspektiven der Deaf Studies, wissenschaftlich aufarbeiten zu lassen, 3. zu prüfen, welche landesgesetzlichen Regelungen geschafften werden können, um Leistungen für gehörlose Menschen niedrigschwelliger zu ermöglichen, 4. der Bürgerschaft bis zum 30.06.2026 einen Zwischenbericht zu geben.
Die fett gesetzten Punkte sind die, bei denen alle Parteien inklusive der AfD einstimmig dafür gestimmt haben. Bei den anderen Punkten – II.1 und II.3 – hat die AfD sich enthalten.
Kurzfassung: an der Bitte um Entschuldigung und die Feststellung des erlittenen Leids beteiligt sich die AfD – einstimmig mit den anderen Parteien. Aber: An der Umsetzung hat die AfD was auszusetzen und enthält sich bei den Punkten, die einen bundesweiten Entschädigungsfonds vorsehen und eine Prüfung der momentanen Leistungen für gehörlose Menschen. Letzteres bezieht sich laut Antragstext auch explizit darauf, wie z.B. Eingliederungshilfe leichter gestaltet werden könnte.
Laut Raules Bericht liegt das nicht daran, dass die AfD dagegen sei, sondern daran, dass dies der AfD nicht weit genug ginge. Sie stellt dafür einen eigenen Antrag. Schon der Titel ist eindeutig: „Wissen wirkt nur, wenn es ankommt!“ – und beim Lesen wird klar, dass es hier ausschließlich um die Verbreitung von Informationen über das Leid der Gehörlosen geht:
Der Senat wird aufgefordert, [...] nach erfolgter wissenschaftlicher Aufarbeitung zur Situation gehörloser Menschen in Hamburg geeignete Maßnahmen zur öffentlichen Verbreitung der Erkenntnisse zu ergreifen. Dazu gehören Informationskampagnen wie Plakataktionen, Onlineformate, öffentliche Veranstaltungen, zielgruppengerechte Veröffentlichungen sowie gegebenenfalls auch die Berücksichtigung entsprechender Inhalte im Schulunterricht
Von finanzieller Entschädigung oder mehr Geld als von den anderen Parteien vorgesehen, ist keine Rede. Vielmehr steht in dem Antrag nichts Neues – es wird nur das Gleiche, was ohnehin im Antrag der demokratischen Parteien steht, noch einmal betont, und der Punkt, der wirklich die Lebensrealität gehörloser Menschen erleichtern würde, ausgeklammert: Entschädigung und einfachere Eingliederungshilfe.