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Dolmetscheinsatz: 700 km Entfernung zum Wohnort zumutbar

Die Kanzlei JURA.CC gab bekannt, dass das Sozialgericht Stuttgart am 17. Mai 2020 zum Aktenzeichen S 28 SO 3662/17 entschieden hat, dass ein Anspruch auf Kostenerstattung hinsichtlich der Vergütung einer Gebärdensprachdolmetscherin im Rahmen einer Teilhabeleistung nur besteht, sofern diese Form der Teilhabeleistung gegenüber zumutbaren Alternativen keine unverhältnismäßigen Kosten verursacht.

Aus der Pressemitteilung des Sozialgerichts Stuttgart vom 03.08.2020 ergibt sich: Die Wahrnehmung einer Ausbildung in einem von dem jetzigen Wohnort 700 Kilometer entfernten Ort stelle eine zumutbare Alternative dar, so das Sozialgericht.

Die Beteiligten stritten über die Kostenerstattung der Vergütung eines im Rahmen der Ausbildung der Klägerin eingesetzten Gebärdensprachdolmetschers. Die Klägerin ist taub und plante eine Ausbildung zur Altenpflegerin zu absolvieren. Aus diesem Grund beantragte sie bei der Beklagten die Kostenübernahme für den Einsatz einer Gebärdensprachdolmetscherin. Der Klägerin stand ein Ausbildungsplatz in einem Berufsbildungswerk (BBW) in H. zur Verfügung, welches diese Ausbildung für Gehörlose anbietet. Der finanzielle Mehraufwand, der im Verhältnis zu der Ausbildung in dem BBW in H. mit der von der Klägerin gewünschten Ausbildung in der Regelschule – über die Ausbildungszeit von drei Jahren gesehen – einherging, lag bei etwa 64.000 Euro oder auch 56%. Der Beklagte lehnte den Antrag ab. Die Klägerin begann die Ausbildung in einer Regelschule und setzte dort eine Gebärdensprachdolmetscherin ein, deren Dienstleistungen sie selbst bezahlte.

Sozialgericht Stuttgart (Foto: Stefan Frerichs)

Das Sozialgericht Stuttgart hat die Klage abgewiesen. Nach Auffassung des Sozialgerichts soll nach § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB XII der Sozialhilfeträger Wünschen der Leistungsempfänger:innen nicht entsprechen, sofern diese mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden wären. Die Kosten für die von der Klägerin gewählte Ausbildung überstiegen die Kosten der Alternative wesentlich. Das BBW in H. sei für die konkrete Situation der Klägerin auch besser auf deren Bedarfssituation zugeschnitten, da die von der Klägerin ausgewählte Regelschule nach eigenen Angaben keinerlei Erfahrung mit der Beschulung und Inklusion tauber Menschen habe. Des Weiteren bestünden auch keine Erfahrungen hinsichtlich des Einsatzes eines Dolmetschers. Dahingegen habe das BBW in H. bereits Erfahrungen, die Pädagog:innen seien entsprechend qualifiziert.

Zu der von der Klägerin gewünschten Option der Beschulung in einer Regelschule unter Zuhilfenahme von Gebärdensprachdolmetscher:innen existierte auch eine gleichermaßen geeignete Alternative, welche der Klägerin auch tatsächlich zur Verfügung gestanden habe. Es handele sich um eine von der Bundesagentur für Arbeit zertifizierte Ausbildung. Auch bestehe in gleichem Maße die Möglichkeit, Weiterbildungsmaßnahmen wahrzunehmen. Die Alternative in Form der Beschulung in dem BBW in H. sei der Klägerin zumutbar. Die Lage in einem anderen Bundesland und die Notwendigkeit der Aufgabe des bisherigen Lebensmittelpunktes durch die Klägerin stünden dem nicht entgegen. Auch anderen Studierenden werde zugemutet, sich während der Präsenzphasen an einem teilweise weit entfernten Ort aufzuhalten. Des Weiteren hätte dies nur die Theoriephasen betroffen. Die Praxisphasen hätte die Klägerin weiterhin an ihrem bisherigen Wohnort absolvieren und verbringen können, sodass innerhalb der drei Jahre lediglich während der 60 Wochen Theorieunterricht der Aufenthalt in H. notwendig gewesen wäre.

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